Nicht nur Monster kloppen

Was mir Rollenspiele über das Leben beigebracht haben

Wenn ich jemandem erzähle, dass ich Rollenspiele liebe, höre ich oft ein Schmunzeln. „Ach so, du meinst diese Spiele, wo man Drachen tötet, mit Zaubersprüchen um sich wirft und ständig neue Rüstungen sammelt?“ Ja, das meine ich. Aber das ist nur die Oberfläche.

Denn je mehr Zeit ich in RPGs (Role-Playing Games) verbringe, desto klarer wird mir: Diese Spiele sind mehr als bloße Unterhaltung. Sie sind virtuelle Spiegel unserer realen Welt – und manchmal sogar unserer inneren Welt. Zwischen Kämpfen, Quests und Dialogen habe ich überraschend viel über Freundschaft, Entscheidungen, Ethik und Identität gelernt. Für mich sind Rollenspiele eine Art interaktive Philosophie – eine, in der ich nicht nur zuschaue, sondern mitgestalte.

Entscheidungen mit Gewicht – und Konsequenzen

Einer der ersten Momente, in denen ich das wirklich gespürt habe, war in The Witcher 3: Wild Hunt. Ich spielte Geralt, einen mutierten Monsterjäger. Doch statt nur Schwerter zu schwingen, wurde ich mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, die keine klaren Antworten boten.

Lasse ich das Dorf aus Angst niederbrennen – oder riskiere ich mein Leben für Fremde? Sage ich der Wahrheit – oder schütze ich jemanden mit einer Lüge? Die Welt reagierte auf meine Entscheidungen, manchmal sofort, manchmal Stunden später.

Diese Erfahrungen haben mich wachgerüttelt. Auch im echten Leben gibt es oft kein klares „richtig“ oder „falsch“. Entscheidungen formen, wer wir sind – und wie andere uns sehen. Rollenspiele haben mir geholfen, die Grautöne zwischen Schwarz und Weiß besser zu erkennen.

Charakterentwicklung – nicht nur in Zahlen

Natürlich liebe ich es, meinen Charakter zu verbessern: mehr Stärke, bessere Rüstung, neue Fähigkeiten. Aber noch spannender finde ich die Entwicklung auf emotionaler Ebene. In Spielen wie Mass Effect, Dragon Age oder Persona 5 bin ich tief in die Rolle meiner Spielfigur geschlüpft – mit eigenen Ängsten, Hoffnungen und Beziehungen.

In Persona 5 etwa leitet man als Schüler tagsüber ein scheinbar normales Leben und kämpft nachts in surrealen Parallelwelten gegen korrupte Erwachsene. Das Spiel zwingt einen, Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst und für andere. Ich erinnere mich, wie ich gezögert habe, mich einer Figur zu öffnen – weil ich wirklich Angst hatte, sie zu verlieren. Diese emotionale Bindung war kein Zufall, sondern Ausdruck von gutem Storytelling und echter Charaktertiefe.

Es hat mir gezeigt: Wir wachsen nicht nur, wenn wir „leveln“, sondern vor allem, wenn wir Entscheidungen treffen, Beziehungen aufbauen und uns mit uns selbst auseinandersetzen.

Die Freiheit, jemand anderes zu sein – oder mehr ich selbst

Ein Aspekt, der mir an RPGs besonders gefällt, ist die Möglichkeit, Rollen auszuprobieren. In Skyrim war ich mal ein rechtschaffener Paladin, mal ein hinterhältiger Assassine. In Cyberpunk 2077 habe ich mich als Hacker durch die Unterwelt gekämpft – oder als diplomatischer Netrunner Konflikte elegant umgangen.

Diese Vielfalt ist nicht nur Spielerei. Sie erlaubt es mir, Facetten meiner Persönlichkeit zu erforschen, die im Alltag keinen Platz haben. Wer wäre ich, wenn ich mutiger wäre? Oder ehrgeiziger? Oder egoistischer?

Ironischerweise helfen mir diese digitalen Rollen dabei, mich selbst besser zu verstehen. Sie konfrontieren mich mit Fragen wie: Was ist mir wirklich wichtig? Würde ich im echten Leben genauso handeln? Und wenn nicht – warum?

Zeit, Geduld und Sinn für Entwicklung

Rollenspiele erfordern Geduld. Oft beginnt man schwach, mit schlechter Ausrüstung und kaum Geld. Doch mit Zeit, Hingabe und strategischen Entscheidungen wächst man. Ich liebe diesen Prozess – vom Nobody zum Helden.

Diese Entwicklung fühlt sich oft belohnender an als in anderen Spielgenres, weil sie nicht nur mechanisch, sondern auch erzählerisch verankert ist. In Divinity: Original Sin 2 zum Beispiel beginnt man als Ausgestoßener, kämpft gegen Ungerechtigkeit – und wird am Ende zur entscheidenden Figur in einer weltverändernden Schlacht. Das gibt mir ein tiefes Gefühl von Sinnhaftigkeit, das ich auch im echten Leben oft suche.

Es erinnert mich daran, dass auch im Leben kleine Schritte, Ausdauer und Lernbereitschaft langfristig den Unterschied machen. Man muss nicht sofort ein „Held“ sein. Man kann es werden.

Beziehungen in RPGs – mehr als nur Romantik

In vielen modernen Rollenspielen kann man Beziehungen zu anderen Figuren aufbauen – romantisch, freundschaftlich, rivalisierend. In Dragon Age: Inquisition etwa hatte ich eine enge Bindung zu Cassandra, einer harten, aber loyalen Begleiterin. Wir hatten hitzige Diskussionen, Meinungsverschiedenheiten – und irgendwann wuchs Respekt.

Diese virtuellen Beziehungen sind oft besser geschrieben als so manche Serien. Sie fordern mich heraus, zuzuhören, Kompromisse zu machen und empathisch zu sein. Nicht jede Entscheidung ist auf Kampf oder Taktik ausgelegt – manchmal zählt einfach, wie ich mit anderen umgehe.

Das hat mich auch im echten Leben achtsamer gemacht. Ich denke öfter über die Wirkung meiner Worte nach – und versuche, Menschen mit ihren Geschichten und Hintergründen ernst zu nehmen.

Rückschläge akzeptieren – und daraus lernen

Ein weiterer Punkt, den ich aus RPGs mitgenommen habe: Manchmal verliert man. Ein Bosskampf scheitert. Ein Charakter stirbt. Eine Entscheidung bringt negative Folgen. Früher habe ich dann oft geladen, zurückgesetzt, neu versucht – bis alles perfekt war.

Heute spiele ich oft „ehrlich weiter“ – auch wenn es schmerzt. Denn das Scheitern gehört dazu. Es macht Geschichten glaubwürdiger. Und es lehrt mich, mit Konsequenzen zu leben.

Diese Einstellung hat sich auf mein reales Leben übertragen. Nicht alles muss perfekt sein. Manchmal ist das Unperfekte sogar ehrlicher, tiefer, menschlicher.

RPGs sind mehr als Spiele – sie sind Erlebnisse

Wenn ich heute ein Rollenspiel beginne, dann freue ich mich nicht nur auf Kämpfe oder Loot. Ich freue mich auf eine Reise – mit Höhen und Tiefen, mit Entwicklung, mit Sinn. Rollenspiele ermöglichen es mir, zu wachsen – als Spieler, aber auch als Mensch.

Sie sind keine reinen Fluchtwelten. Im Gegenteil: Sie spiegeln uns, fordern uns heraus, machen uns nachdenklich. Sie zeigen, dass Heldentum viele Gesichter hat – und dass es oft weniger um Stärke als um Haltung geht.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich Rollenspiele so liebe. Nicht, weil ich darin jemand anderes bin. Sondern weil ich darin ein Stück mehr von mir selbst entdecke.

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